Niedrigzinspolitik „bedroht deutsche Volkswirtschaft“

Walter Strohmaier, Bundesobmann der Sparkassen, wünscht sich Eingreifen der Politik

Seit inzwischen sieben Jahren verlieren die deutschen Sparer an Vermögen. Der Grund: die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Spareinlagen werfen schon lange keine oder kaum Zinsen ab – die Inflation kommt noch hinzu. Doch das Instrument des billigen Geldes hat sich abgenutzt und verfehlt inzwischen seine Wirkung. Davon jedenfalls ist Walter Strohmaier überzeugt. Als Bundesobmann vertritt der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Niederbayern-Mitte die Interessen aller Sparkassen in den Gremien des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands.Strohmaier geht es nicht darum, über die schlechte Rendite zu lamentieren, unter der auch die Banken leiden, oder sich über Verwahrgebühren bei den Notenbanken zu beschweren. Seine Befürchtungen gehen viel tiefer: Strohmaier warnt vor schwerwiegenden Folgen für die deutsche Volkswirtschaft und für bewährte Finanz- und Kreditstrukturen. Denn gerade Deutschland sei sehr vom Mittelstand geprägt, der vor allem von Regionalbanken – Sparkassen und Genossenschaftsbanken gleichermaßen – mit Krediten versorgt werde.
Schaden für Deutschland„Ich glaube, wir sind an einem Zeitpunkt angelangt, an dem ich die Frage stelle, ob der Grenznutzen dieser Zinspolitik nicht mehr und mehr abnimmt, aber die Nebenwirkungen gerade der Volkswirtschaft Deutschland immer mehr schaden“, warnt Strohmaier. Und auch innerhalb Europas müsse man auf eigene, nationale Interessen achten. Insofern hat er wenig Verständnis für die weitgehende Untätigkeit der deutschen Politik. Deutschland sei in Europa die wirtschaftliche Lokomotive. Doch durch die EZB-Politik, durch die zweifelsohne die Staatshaushalte stabilisiert werden, aber zugleich die Finanzindustrie mehr und mehr ausgehöhlt wird, wird auch nach und nach die Wirtschaftskraft Deutschlands eingebremst. Das Land nähere sich damit den schwächeren Staaten an. Unlogisch, findet Strohmaier. Denn Ziel müsse es doch sein, die Stärksten auch stark zu halten und nicht an den Schwächeren auszurichten.Dass die Zinssenkung zur Euro Stabilisierung durch EZB-Präsident Mario Draghi damals richtig gewesen ist, bestreitet Strohmaier nicht. In der Folgezeit sei aber „nicht immer ehrlich argumentiert worden“. Es sei nämlich versäumt worden, bei einer Verbesserung der Lage die geldpolitischen Instrumente wieder zurückzufahren. Denn inzwischen hätten diese Instrumente fast keine Wirkung mehr. Im Falle eines konjunkturellen Abschwungs habe dann die EZB zudem kaum noch Eingriffsmöglichkeiten, weil sie die Geldschleusen ja schon seit Jahren sperrangelweit geöffnet hat. Auch die Gefahr einer Kreditklemme kann der Sparkassenchef weit und breit nicht erkennen. Alleine bei den deutschen Sparkassen belaufe sich das Kreditvolumen auf 840 Milliarden Euro, 450 Milliarden Euro davon im Firmenkundengeschäft.
„Gift des billigen Geldes“Im Gegenteil entfalte das „Gift des billigen Geldes“ seine Wirkung und mancher Unternehmer werde zu Investitionen verführt, „die betriebswirtschaftlich keinen Sinn ergeben“. Größter Nutznießer der niedrigen Zinsen seien die Staaten, die praktisch keine Zinsbelastung für ihre Schulden zu tragen hätten. Gerade Regionalbanken – die Kreditpartner des Mittelstands – litten dagegen ganz besonders, da sie zu 75 Prozent vom Zinsgeschäft lebten. „Unserer Branche wurde der Preis für unsere Ware Geld genommen.“Mittelfristig, so befürchtet Strohmaier, könnte sich die gewachsene, bewährte Wirtschafts- und Bankenstruktur in Deutschland verändern. Eine „mehr als angeschlagene“ Deutsche Bank könne da kaum einspringen. Und falls diese einmal von einem amerikanischen oder chinesischen Mitbewerber übernommen werden sollte, fehle Deutschland auch auf dem Bankensektor der internationale Einfluss. Das wäre „eine Schwächung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“.Geschädigt werde auch der deutsche Sparer, der traditionell über hohe Spareinlagen verfüge. Daher seien auch die deutschen Banken besonders von Verwahrgebühren bei der Notenbank belastet – sie schultern 2,4 Milliarden an diesen Gebühren, bei einem europaweiten Aufkommen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Diese besondere deutsche Betroffenheit komme aber in der öffentlichen und politischen Debatte zu kurz, kritisiert Strohmaier.Verwahrentgelte „verabscheue ich“, sagt er. Denn es widerspräche allen, was Sparern jahrzehntelang vermittelt worden sei. Da aber die weitere Entwicklung unklar sei, müssten sich auch die deutschen Banken vorbereiten und in Zukunft möglicherweise auch Privatanlegern solche Entgelte berechnen. Doch die meisten Sparer, ist Strohmaier überzeugt, würden davon wohl nicht betroffen sein, weil es hierbei großzügige Freibeträge geben müsse.
Rentenversicherer betroffenMit den Gefahren für die Bankenstruktur und die Sparer ist Strohmaier aber noch nicht am Ende. Denn auch die Rentenversicherer leiden unter den niedrigen Zinsen. Mit demselben Risiko bei der Geldanlage könne das gegenwärtige System nicht aufrechterhalten werden. Dies sei auf lange Sicht weitaus dramatischer als die Renditeschwäche „bei dem einen oder anderen Sparvertrag“. Auch hier wünscht er sich, dass die Politik diese Gefahren klarer aufzeigt.Und der Anleger? Drohen nun höhere Gebühren? Ausschließen will Strohmaier das nicht. Doch so ohne Weiteres könne man auch aufgrund des Wettbewerbs an dieser Schraube nicht drehen. Service und Beratung müssten ihren Preis haben. Aber das Risiko, Kunden zu verlieren, sei hier einfach zu groß. Zudem machten die Gebühren ohnehin nur einen kleineren Teil der Rendite bei Regionalbanken aus.Stattdessen sollten die Anleger bei ihrer Anlagestrategie umdenken. Das meiste Vermögen hätten die Deutschen nach wie vor in Sichteinlagen wie Sparbüchern und Ähnlichem geparkt. Anders als in anderen Ländern sei aber die Aktienkultur in Deutschland wenig ausgeprägt. Hier umzusteuern sei aufgrund regulatorischer Auflagen nicht einfach. Aber wer nicht länger sein Geld vernichten will, der wird an Alternativen wie zum Beispiel Fondsanlagen in Zukunft kaum vorbeikommen.

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